Nein, ich bin nicht größenwahnsinnig und maße mir nicht an, Hornstein vor dem Kommunismus zu schützen. Graz ist ja eh 118 Kilometer Luftlinie entfernt und der Kommunismus wird außerdem nicht durch Aerosole übertragen.
Und ich bin kein Nachfahre des Woiwoden Stefan Laczkfi aus dem Jahr 1340.
Und meine Spuren lassen sich weder nach Slawonien zurückverfolgen, noch finden sich in meinem Erbgut Zutaten von osmanischen Janitscharen aus dem Jahr 1529.
Ich bin Hornsteiner dem Wohnort nach, ein waschechter Zuagrasta.
Ich bin kein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, der Blasmusik, des Kirchenchors oder der Tamburizza – für die drei letzteren fehlt mir neben meinem Mangel an Liebe zu Brauchtum und Tradition natürlich auch die notwendige Musikalität. Trotzdem schätze ich das Leben hier, es fehlt nicht allzu viel und bis vor kurzer Zeit boten einige Plätze im Ort einen gewissen, leicht abgewohnten Charme.
Selbstverständlich befürworte ich die Mehrsprachigkeit in der Volksschule, auch wenn mich meine Frau und meine Tochter aufgrund meiner minimalsten Krowodischkenntnisse sicher überall und auch für dumm verkaufen könnten.
Wahrscheinlich lebe ich in einer Parallelwelt und genieße meistens die Vorteile eines Dorfes nicht weit entfernt von der Großstadt.
Ich bin leidenschaftlicher Fußgänger und dabei halte ich nicht nur gezwungener Maßen die Augen offen: so viele alte und neue Randsteine, auf denen wir bekanntlich ausrutschen und über die wir stolpern können. Sie erzählen Geschichten und da bin ich an Mehr- und Einzahl höchst interessiert. So falle ich buchstäblich über die Vorschau auf die neue Ortschronik, die vor einigen Wochen in alle Haushalte flatterte. Ich blättere und staune, ich lese und bin verwundert, spätestens ab Seite 44. Hier wird das Wahlergebnis der Gemeinderatswahl 2017 unter der Rubrik „Wussten Sie, dass …“ doch tatsächlich als epochales Ereignis dargestellt, das „den poltischen Umschwung“ brachte. Abgesehen von einem durch diese Präsentation vermitteltes unerträgliches Maß an Impertinenz, Präpotenz und Arroganz stellt sich für mich die Frage, ob dieser Wahlsieg jetzt gleichzustellen ist mit der Pest, dem ersten Weltkrieg oder der Neuerrichtung der Dorfkirche. Die folgenden 8 Seiten (von gesamt 51 dieser Broschüre) beschäftigen sich ausschließlich mit den Errungenschaften der Amtszeit des derzeitigen Bürgermeisters. Sollte diese Aliquotierung – 4 Jahre von 750 Jahren – auch in der tatsächlichen Ortschronik ihren Niederschlag finden, ist einiges zu befürchten.
Nimmt man eine Chronik als verschriftlichte Form eines Auszuges des kollektiven Gedächtnisses einer Gesellschaft, so kann ich als bolivianischer Linzer mit starken Wiener Präferenzen, der seit fast 30 Jahren in Hornstein lebt, dieser Darstellung der unmittelbaren Zeitgeschichte nichts abgewinnen.